Catherin Persing
"Where I come from, ghosts are not to be taken lightly": Fragmentarische Wiederauferstehung und gespenstische Ontologien bei Guillermo del Toro
Das Gespenst gehört zum klassischen Inventar fantastischer und volkstümlicher Erzählungen, spukt aber keineswegs nur durch Kunst und Brauchtum, sondern sucht von jeher auch die Wissenschaft heim – etwa im Versuch, dem Geisterglauben und daran anknüpfenden Phänomenen wie dem Spiritismus mit Vernunft beizukommen, aber auch im theoretischen Zugriff auf neue technische Medien oder seiner ästhetischen Operationalisierung als Metapher für Begegnungen mit dem Anderen. Jenseits dieser vielfältigen Erscheinungsformen etabliert sich das Gespenst Ende des 20. Jahrhunderts aber auch als einflussreiches kulturwissenschaftliches Konzept. "Lernen, mit den Gespenstern zu leben" – dieses Diktum Jacques Derridas ruft auf zur offenen Auseinandersetzung mit allem, dem in der Gegenwart kein Platz eingeräumt wird und das die Lebenden gerade deshalb heimsucht.
In den Filmen des mexikanischen Regisseurs Guillermo del Toros wird den Heimsuchungen der Vergangenheit in besonderer Weise zur Sichtbarkeit verholfen. Die unheimliche Qualität seiner Filme bezieht er häufig aus der Wiederkehr des Verdrängten, wobei die Gespenster in The Devil’s Backbone und Crimson Peak auch buchstäblich wiederauferstehen, um ihr "unfinished business" fortzusetzen. Resultierend aus ihrem liminalen Status – dem Leben ebenso trotzend wie dem endgültigen Tod – bringen die Spukgestalten in del Toros Filmen einen ontologischen Mangel (oder wahlweise Überschuss) mit sich, der die herrschenden Spielregeln außer Kraft setzt und Potential zur Veränderung birgt.
Die Gespenster sind durch ihre Widerständigkeit gegen klassische Ordnungssysteme in der Lage, ebenjene Ordnungen, ihre Bedingungen und Grenzen zu reflektieren und befragen. In del Toros Filmen treten sie daher folgerichtig nicht als Antagonisten, sondern als Verbündete gegen die Übermacht faschistisch-patriarchaler Systeme und als Figuren der Ermächtigung auf. Welches Wissen vermitteln uns die Gespenster? Und wieso brauchen wir sie? Der Vortrag stellt am Beispiel von The Devil’s Backbone und Crimson Peak die verschiedenen medialen, kulturellen und diskursiven Verfasstheiten des Gespenstischen als Denkmodell vor und nimmt historische, politische und topographische Räume der Heimsuchung in den Blick.
Nach ihrem Studium der Komparatistik und Theaterwissenschaft ist Catherin Persing seit 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theaterwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum tätig. Dort erforscht sie szenische Phänomene mit Blick auf ihre Einbettung in rituelle und mythische Dimensionen sowie Figurationen und Dramaturgien des Nicht-Menschlichen. Ein weiterer Fokus liegt auf den Genealogien des Phantastischen, deren Fluchtlinien sie von der romantischen Kunstmythologie bis in gegenwärtige Fantasyproduktionen hinein nachgeht. In ihrem Promotionsvorhaben untersucht sie die Reaktualisierung zentraler Funktionen und Möglichkeit des Tragischen im Medium des zeitgenössischen Horror-Kinos.